Projektübergabe: Escola Nacional Floraestan Fernandes

Projektübergabe: Escola Nacional Floraestan Fernandes

Am 10. Dezember fand von 19:00 bis 21:30 Uhr an der Universität Leipzig die öffentliche Übergabe der Bundesschule Florestan Fernandes an die brasilianische Landlosenbewegung Movimento dos Sem Terra statt. Zu dieser feierlichen Projektübergabe laden wir Sie herzlich ein und würden uns sehr freuen, wenn Sie bereit wären ein paar Grußworte zu sprechen.

Der Bau dieser Universität für die größte soziale Bewegung Lateinamerikas wurde durch Mittel der Entwicklungszusammenarbeit von Caritas International, der Europäischen Union und den Freundinnen und Freunden der brasilianischen Landlosenbewegung MST, Deutschland, e.V. ermöglicht.

Diese förmliche Übergabe der Bundesschule wird gemeinsam mit dem Arbeitskreis Umwelt der Universität Leipzig veranstaltet und findet im Rahmen des 8. Europäischen Treffens der FreundInnen der MST vom 9.-13.12.09 in Leipzig statt.[1] Eingeladen sind verschiedene Repräsentanten – Freunde der MST – aus ganz Europa und den USA, Repräsentanten der Landlosenbewegung aus Brasilien sowie eine breite Öffentlichkeit innerhalb und außerhalb der Universität in Leipzig.

 

Herzliche Grüße

Wolfgang Hees, Thomas Schmidt, Thomas Steinhäuser und Benjamin Bunk

Freundinnen und Freunde der Landlosenbewegung MST, Deutschland, e.V.

 

 

Veranstaltungsablauf

Ort: Hörsaal Universität Leipzig

19:15 – 20:00

Offizielle Übergabe der Escola Nacional Florestan Fernandes

Moderation: Wolfgang Hees (Lateinamerikareferent Caritas International)

20:00 – 21:30

Bildung in Bewegung

Die Bedeutung der brasilianischen Bundesschule Florestan Fernandes für die ländlichen sozialen Bewegungen im Kontext von Agrarpolitik und Klimawandel

Vortrag von Kelli Mafort und Neuri Rossetto (Bundeskoordination der MST) mit anschließender Diskussion

(Konsekutivverdolmetschung Portugiesisch – Deutsch)

 

Hintergrund:

Brasilien ist geprägt durch eine extrem ungleiche Land­verteilung. Etwa 10 % der Bevölkerung besitzen 80 % des Landes, während rund fünf Millionen Men­schen in Bra­si­lien landlos sind. Die Folge sind gewalt­same Konflikte auf dem Land und massive soziale Konflikte in den Städ­ten. Dabei sind eine Agrarreform und der soziale Nutzen des Landes in der Verfassung Brasiliens festgeschrieben. Die Art der Umsetzung der Agrarreform ist ein zentrales Thema brasilianischer Politik bis heute.

Mit Landbesetzungen und Bildung nimmt die Movimento dos Sem Terra (die brasilianische Bewegung der Landlosen, MST) die Agrarreform und ein alternatives ländliches Entwicklungsmodell in die Hand. Als wesentlicher Akteur im politischen Diskurs Brasiliens treibt sie damit auch die Themen Umwelt­schutz und Klima­wandel voran.

Klimawandel als globales Phänomen hat sich in den letzten Jahren auch im ländlichen Brasilien massiv verschärft. Direkte Auswirkungen sind immer heftigere Extremwetterlagen in immer kürzeren Abständen: Dürren wie Überschwemmungen, Stürme mit Starkregen und Hangrutschungen. Politische und wirtschaftliche Maßnahmen im Namen des Klimaschutzes haben unterschiedliche Konsequenzen für Menschen im Norden oder im globalen Süden. Die Landkonflikte dort haben sich dadurch verschärft.

Dies ist auch eine pädagogische Herausforderung. Ein Bauer braucht keine Bildung! – So zumindest die vorherrschende Meinung gegen die die Movimento dos Sem Terra seit 25 Jahren kämpft. Sie entwickelt seit Jahrzehnten eigene Konzepte des Lehrens und Lernens für das Leben auf dem Land. Heute betreibt diese soziale Bewegung an die 3000 Schulen, verschiedene technische Fort- und Ausbildungszentren und seit neuestem die Escola Nacional Florestan Fernandes für Fortbildungen und Ausbildungsgänge in Kooperation mit öffentlichen Universitäten.

Dabei geht es nicht nur um Alphabetisierung der größtenteils ohne Schulzugang aufgewachsenen Landbevölkerung. Es bedeutet auch Werte wie Emanzipation zu verbreiten und Lehrpläne zu entwickeln, die Arbeit, Familie und Ausbildung vereinbaren lassen. Zugrunde liegt ein Verständnis von politischer Bildung, welches versucht Menschen in ihrem gesellschaftlichen Kontext dahingehend zu befähigen, Akteure ihres eigenen selbstbestimmten Lebens zu werden, ohne die Vermittlung von praktischen Kenntnissen und Fertigkeiten zu vernachlässigen.

Die MST vertritt dabei moderne Konzepte der Schulorganisation und des Unterrichts, die an reformpädagogische Debatten hierzulande erinnern. Zudem kommt in ihren Ansätzen ein erweitertes Bildungsverständnis zum Tragen, das besondere Aufmerksamkeit den außerschulischen Lernprozessen – und deren Reflexion –  in Familie, Bewegung und Gesellschaft berücksichtigt.

Auf diese Weise ist in den individuellen Lerngelegenheiten immer auch Gesellschaft und gesellschaftlicher Wandel – die Grundlage von Pädagogik – mit gedacht. Es handelt sich um ein Bildungskonzept, welches versucht die aktuellen Herausforderungen durch die Globalisierung, seien es die Agrarpolitik und der Klimawandel, aufzugreifen und eine pädagogische Antwort sowohl auf abstrakte gesellschaftliche Entwicklungsprozesse als auch auf die Herausforderungen eines existenziell bedrohten Alltags auf dem Land zu geben. Ist Bildung für die arme ländliche Bevölkerung eine Antwort auf Fragen der Gerechtigkeit und des Klimawandels?


[1] Neben dieser Projektübergabe und der Tagung, gemeinsam mit dem Runden Tisch Brasilien, findet im Vorfeld mit unseren Referenten aus Brasilien eine Vortragsreise durch Deutschland statt. Zudem ist am 12.12.09 eine politische Kunstaktion zum Thema Klimagerechtigkeit in Kopenhagen in der Leipziger Innenstadt geplant.