der Landlosenbewegung MST um das Unternehmen Cutrale zu verteidigen
Polizeiliche Such- und Festnahmeaktion von Aktivisten der MST, die illegal angeeignetes Land des transnationalen Konzerns besetzten, traumatisiert deren Familienangehörige
von Eduardo Sales de Lima, aus Borebi, S.P. zugesandt ( veröffentlicht in „Brasil de Fato“, 19.2.2010)
(Übersetzung: Christiane Trümper Portella)
„Wirst du wohl aufstehen, du Nichtsnutz? Was, Sie nehmen Drogen?“ Es war um 5 Uhr morgens, als die Tür aus Zeltplane und Holz von Gentil Alves, 78 Jahre, von vier Männern herausgerissen wurde. Allein in seiner Hütte sah er, wie die Kleidung seiner Familie auf den Boden und durchgewühlt wurde. „Ein Magerer sagte: „Der Alte muss nicht mit, in einem Tag kommen wir zurück.“ Ich habe vor Angst gezittert“, erinnert sich Gentil, ein Bauer, der ein Landstück von 6 a in der Siedlung Loiva Lourdes in Borebi im Hinterland des Bundesstaates Sao Paulo besitzt. Er und seine Frau, Dona Nair, 66 Jahre alt, wohnen dort mit einer Enkelin und einer Urenkelin von 6 Monaten. Er war einer von vielen, die durch die sogenannte Operation Laranja („ Apfelsine“) überrascht wurde, die die Zivilpolizei von Sao Paulo im Rahmen einer Untersuchung durchführte, welche die Festnahme von Mitgliedern des MST aufgrund der Zerstörung von Apfelsinenpflanzen des transnationalen Konzerns Cutrale im letzten Oktober nach sich zog.
Am Morgen des 26. Januar drangen im Rahmen der Operation, ungefähr 150 Polizisten mit Such- und Haftbefehlen in mehrere weitere Hütten ein. Die Suche nach Aktivisten endete mit 9 Festnahmen. Außer in der Siedlung von Gentil wurde die Operation auch in Zumbi dos Palmares durchgeführt und von Benedito Antônio Valencise, dem Polizeikommissar von Bauru, geleitet. 20 Haftbefehle wurden erteilt, davon wurden 7 Personen 2 Wochen lang festgenommen, die anderen 13 wurden nicht angetroffen.
Verschiedene Gefängnisse
Aus der Sicht von Menschenrechtsorganisationen war diese riesige Polizeiaktion überflüssig und willkürlich, da die Festgenommenen einen festen Wohnsitz hatten und arbeiteten. Danach befragt, warum die Personen nicht vorgeladen wurden, argumentierte Valencise, dass es wichtig sei, das Berufsgeheimnis zu wahren und dass das Vorgehen im Rahmen des Gesetzes liege. „Manchmal ist die gesuchte Person nicht da und die Vorladung wird beim Nachbarn hinterlassen. Aber dann wird diese Nachricht verbreitet und die Person wird sich aus Angst vielleicht nicht melden um auszusagen. Als wir den Miguel Serpa festgenommen haben, versuchte er zu fliehen. Das heißt, wenn ich ihn vorgeladen hätte, würde er dann wirklich erscheinen oder würde er fliehen“, meinte er.
Aber der Abgeordnete des Bundesstaates, Simao Pedro, von der PT denkt anders. „Die Polizei darf nicht als parteiliches Instrument einer bestimmten politischen Richtung missbraucht werden“, sagt er und meint damit auf den Gouverneur José Serra von der PSDB. „Warum soll man Personen festnehmen, die schon der Polizei zur Verfügung standen, die einen festen Wohnsitz haben, die Hauptzeugen sind und die sich zur Zusammenarbeit zur Verfügung stellten?“, fragt der Abgeordnete.
Eine der am meisten kritisierten Punkte im Rahmen dieser Polizeiaktion war die Verteilung der Aktivisten auf vier verschiedene Gefängnisse der Region. Der Polizeichef von Bauru erklärt, dass das Ziel nur das Wohlbefinden der Gefangenen gewesen sei. „ Die für uns zuständige Gefängniseinheit hier ist in Duartina. Dort war das Gefängnis überfüllt. Deshalb haben wir sie getrennt. Mehr, um eine umfassende Betreuung beim Besuch der Rechtsanwälte und der Menschenrechtsexperten zu garantieren,“, erklärt Valencise.
Fahnen und Broschüren
Der Polizeichef Valencise versichert, dass keine Gewalt angewendet wurde, als die Such- und Verhaftungsaktionen in den Siedlungen durchgeführt wurden. „Gott sei Dank gab es keine Gewalt, es gab keinen einzigen Schuss und keine einzige aggressive Handlung. Rosimeire wurden noch nicht einmal Handschellen angelegt. Sie wurde in das Polizeiauto gesetzt, in derselben Abteilung wie wir, damit es kein Problem geben würde“ , teilt der Polizist mit.
Bevor sie mit ihrem Mann Miguel Serpa mitgenommen wurde, nahmen die Polizisten im Haus von Rosimeire Serpa, Stadtverordnete in Iaras für die PT, Handys, Fahnen der MST , der PT, Bücher und Broschüren der beiden Organisationen mit. Was Rosimeire auffiel, war, dass einige Polizisten sich über die Tatsache, dass es in ihrem Wohnzimmer ein Bücherregal gab, aufregten.
War die Behandlung der Stadtverordneten der PT im Iaras respektvoll, so war die Erfahrung einiger anderer Siedler anders. Paulo Rogério Beraldo, 22 Jahre, wohnt in der Siedlung Loiva Lourdes. Als die Polizisten am 26 . Januar um 6 Uhr morgens in ihr Haus eindrangen, haben sie die ganze Familie erschreckt. Er und seine Mutter, Catarina de Castro, waren gerade dabei, das Holzfeuer zu schüren, als sie Bewegungen von Personen hinter den Bäumen in der Nähe des Hauses bemerkten, das eine Holzkonstruktion mit Wänden aus Zeltplane und einem festen Dach ist.
„Hurensohn!“
„Sie fragten uns, ob wir Waffen hätten. Sie wollten wissen, wo die Rechnungen für den Generator und die Motorsäge seien“, erzählt die Mutter von Paulo. In dieser stressigen Situation der Verhaftung ihres Sohnes fand Dona Catarina aus Nervosität nicht die Rechnung für den Generator, den sie gekauft hatten. Einige Siedler von Loiva Lourdes hoben hervor, dass die Polizisten von Valencise seltsame Gegenstände mitnahmen, um den Nachweis eines Diebstahls zu erbringen: ärztliche Unterlagen und Dokumente, welche vom INCRA, dem Nationalen Institut für Agrarreform ausgestellt waren und die Zuteilung des Landstückes dokumentierten.
Als es vom Reporter über den Generator, der nachgewiesener Maßen der Familie von Catarina gehört, befragt wurde, gab Valencise zu bedenken, dass im Falle eines Gegenstandes, der beschlagnahmt wird und dessen Ursprung nicht sofort nachgewiesen werden kann, eine Überprüfung durchgeführt wird.“Wenn der Diebstahl nicht nachgewisen wird, können Sie sicher sein, dass er demjenigen, bei dem er gefunden wurde, wieder zurückgegeben wird“, versichterte er. Währenddessen ist das Haus von Paulos Mutter seit dem 26. Januar ohne Elektrizität.
In Handschellen wurde der junge Mann von 22 Jahren zum Polizeiquartier von Promissao abgeführt. Er wurde in derselben Zelle festgehalten wie Anselmo Alves Villas Boas, der als Gaúcho bekannt ist. Die Ehefrau von Gaúcho, Nair, erzählt wie die Polizei bei ihnen zu Hause in der Siedlung Zumbi dos Palmares „angekommen“ sei. „Sie kamen schreiend an und haben ihn Hurensohn genannt. Sie kamen und haben Pfefferspray in der Hütte verteilt. Dann hat mein Mann sie gebeten, sich nicht so skandalös aufzuführen“, erinnert sie sich.
„Aus Angst“
Die Familien, in deren Hütten die Polizei eingedrungen ist, sind traumatisiert. „Ich möchte eine Antwort, ich fühle mich sehr unter Druck gesetzt. Ich kann nicht mehr im Haus bleiben“, vertraut Nair dem Journalisten an, und fügt hinzu:“ Deshalb werden wir jetzt nicht aufhören. Ich werde weiterhin kämpfen.“
Maria José Bezerra, die Frau des anderen Bauern, Máximo Albino, 60 Jahre, der 16 Tage lang festgehalten wurde, erinnert sich, dass die Enkel beim Aufwachen Waffen, die auf ihre Köpfe gerichtet waren, sahen. Nach dem polizeilichen Überfall will kein Kind mehr das Haus verlassen, „aus Angst“, wie die Frau aus der Siedlung Zumbi dos Palmares sagt. Während seiner Haft sei ihr Mann deprimiert gewesen und hätte nichts essen wollen.
Der Rechtsanwalt Jorge Soriano behauptet, dass es einen Rückschritt in der brasilianischen Demokratie gäbe. „Unglücklicher Weise weist die Polizei teilweise noch Vorgehens- und Handlungsweisen auf, die in der Militärdiktatur üblich waren. Sie hält sich immer noch für überlegen und meint das Recht zu haben, die Bürger zu nötigen oder ihnen ihre Rechte abzuerkennen. Das wäre nicht nötig gewesen. Es hätte genügt, an die Türe der Häuser zu klopfen“, meint der Rechtsanwalt der nunmehr entlassenen Verhafteten.