Das Jahresende ist ein geeigneter Augenblick, um die Aktivitäten der vergangenen Zeit zu bilanzieren, um die Fortschritte und Schwierigkeiten zu reflektieren und um das nächste Jahr zu planen.
2009 wird in der Geschichte als das Jahr der großen kapitalistischen Krise in Erinnerung bleiben, die die Finanzmärkte auf der ganzen Welt erschüttert hat. Die Krise begann in den USA, aber betraf verschiedene arme und reiche Länder, brachte Börsen, Banken und Unternehmen zum Zusammenbruch, höhlte die ideologische Vorherrschaft des Sicherheitsglaubens der großen Kapitalisten in ihren Gott Markt , den sogenannten Neoliberalismus,aus.
Wir erhielten die traurige Nachricht, dass die Zahl der Hungernden laut UNO-Angaben schon 1 Milliarde Menschen übersteigt, oder anders ausgedrückt, eine von 6 Personen hungert irgendwo auf dieser Welt. Es gab einen weiteren Anstieg der Einkommens- und Reichtumskonzentration auf dem ganzen Planeten, der durch die kapitalistische Funktionsweise global erfolgt.
Die Entwaldung durch das Agrobusiness und die große Anzahl von Autos, die in der letzten Zeit produziert wurden, um die Automobilindustrie vor der Krise zu retten, hat die Umweltprobleme nur noch verschärft und zwingt die Welt dazu, den globalen Temperaturanstieg und seine Folgen für die Menschheit zu diskutieren. Darüber hinaus verschärften die intensive Viehwirtschaft und das Produktionsmodell des Agrobusiness, das auf dem übermäßigen Einsatz von Maschinen und Agrargiften beruht, die Schräglage der Umwelt in den ländlichen Regionen.
Wir alle erwarteten, dass die Staatschefs die Ernsthaftigkeit der Situation verstünden und dass sie in Kopenhagen eine Verpflichtung unterzeichnen würden um die Welt zu retten. Trauriger Irrtum. Die Regierungen der Länder, die für die größten Umweltprobleme verantwortlich sind, machen weiter wie bisher, immer unvernünftiger und unverantwortlicher. Schließlich möchten sie weder die Konsumgewohnheiten noch ihre Privilegien, die von der ganzen Menschheit bezahlt werden, ändern. Wie Via Campesina International und die Umweltbewegungen richtig analysiert haben: nur die Mobilisierung des Volkes kann nunmehr das Leben auf dem Planeten retten.
In Brasilien wurden dieses Jahr wichtige Debatten geführt, wie z.B. die Frage der Ölreserven vor der Küste, welche die Ausrichtung der Wirtschaft und der sozialen Probleme ändern könnten. Die Aktualisierung der Produktionsindizes, ein Versprechen, welches die Regierung Lula seit Mai 2005 gemacht hat, und welches die Landreform beschleunigen könnte; die Arbeitszeitverkürzung auf 40 Stunden, eine alte Forderung der Arbeiter, die nunmehr von den Gewerkschaftszentralen übernommen wurde.
Dieses Jahr war ebenfalls von der Kriminalisierung der Armut und der sozialen Bewegungen geprägt. Wir haben in mehreren Bundesstaaten erlebt, dass die Regierung weiterhin reaktionäre Positionen vertritt, dass sie die sozialen Probleme gerichtlich löst und die Bewegungen, welche die Kämpfe und Widerstandsbewegungen in den armen Gemeinden der großen Städte und des Landes organisieren, kriminalisiert. Das MST hat hart bezahlt, wir haben den Genossen Elton Brum verloren, der von der Militärbrigade des Bundesstaates Rio Grande do Sul ermordet wurde. Und wir hatten mehrere Fälle von führenden MST-Aktivisten, die Haftbefehle erhielten.
Im politischen Kampf hat die brasilianische Rechte ihre Präsenz in den Bereichen, in denen sie das Sagen hat, wie z.B. in der Jurisdiktion, verstärkt und hat den Präsidenten des Obersten Gerichtshofests zu einem bloßen Sprachrohr ihrer Interessen umfunktioniert. Im Parlament hat die Rechte neben den unzähligen Korruptionsfällen, die auf ihr Konto gehen, ihre Offensive ausgebaut, indem sie Gesetzesanträge einbrachte, welche gegen den Strom der Geschichte gerichtet sind, wie z. B. der Versuch, sich das Amazonasgebiet anzueignen, die Gesetzesänderungen bezüglich der wirtschaftlichen Nutzung der Wälder und die Absicht, den Gebrauch und den Vertrieb von Agrargiften und gentechnisch verändertem Saatgut komplett zu liberalisieren.
Die Agrarreform
Wir haben im April und August große Aktionstage veranstaltet, auf denen wir die Umsetzung der Landreform eingefordert haben. Aber wiederum haben wir am Jahresende keine großen Fortschritte in der Agrarreform zu verzeichnen. Es wurden schätzungsweise weniger als 20.000 Familien angesiedelt, d.h. nur 20 % des vom INCRA angegebenen Ziels von 100.000 Familien pro Jahr. Mehr als 96.000 Familien leben weiterhin in Zeltcamps, in den meisten Fällen seit mehr als drei Jahren unter Zeltdächern.
Wir haben einige Verbesserungen in den Siedlungen zu verzeichnen, wie z.B. die erweiterte Installation von elektrischer Energie, Wasserrohren, Wohnungen und die Verbesserung der Infrastruktur. Jedoch gab es keinen Fortschritt bei einer wesentlichen Frage, welche die Entwicklung der Siedlungen betrifft: Die Gründung von Agrarkooperativen, die in großem Maßstab produzieren, die Ausweitung der öffentlichen technischen Beratung und eine Politik der Kreditvergabe im ländlichen Bereich, die auf die Bedürfnisse der Siedlungen abgestimmt ist. Die Pronaf hat sich als unzureichend für die Lösung der Probleme der Siedler erwiesen, selbst wenn das Kreditvolumen erhöht wird. Diese Situation erschwert die Einkommenssteigerung der Familien.
Angesichts dieser Bilanz ist es unsere vorrangige Aufgabe, weiterhin die Arbeiter zu organisieren, um die Ansiedlungen der Familien, die in Zeltcamps leben, zu erwirken und um die Lebensbedingungen der schon angesiedelten Familien zu verbessern und damit die Diskussion und Umsetzung einer Landreform vom und für das Volk voranzubringen.
Herausforderungen im Jahr 2010
Das Jahr 2010 stellt uns sowohl im allgemeinen Kampf um politischen Wandel als auch im Kampf um die Landreform vor die Bewältigung vieler Herausforderungen.
Wie müssen im städtischen Bereich die Zusammenarbeit mit anderen Sektoren der sozialen Bewegungen und der Gewerkschaftsbewegung verstärken, da nämlich die Herausforderungen groß sind und die Mobilisierung der gesamten Arbeiterklasse erfordern. Die Agrarthemen werden auch ldurch die Mobilisierung der ganzen Klasse vorangebracht, indem die politischen Kräfteverhältnisse verändert werden. Wir müssen unseren Beitrag zur Organisation der Volksversammlung und Koordination der sozialen Bewegungen leisten, um ein Plebiszit über die Höchstbegrenzung von Landbesitz in Brasilien durchzuführen. Wir werden auch den Kampf um die Arbeitszeitverkürzung verstärken und ebenso weiterhin die Kriminalisierung der sozialen Bewegungen denunziieren und bekämpfen. Außerdem werden wir dafür kämpfen, dass die Ölreserven vor der Küste definitiv im Besitz des Volkes bleiben und dass ihr Ertrag für die Bekämpfung der Arnut und Investitionen im Bildungs- und Gesundheitsbereich zum Wohle des brasilianischen Volkes verwendet wird.
Im nächsten Jahr gibt es auch die Herausforderungen der Wahlen, und selbst wenn wir die Grenzen der repräsentativen bürgerlichen Demokratie kennen, halten wir es für wichtig, diesen Zeitpunkt zu nutzen, in dem sich die Bevölkerung aktiv in den Wahlprozess einbringt, um eine große Debatte zu führen. Es ist der geeignete Moment, um die sozialen und strukturellen Probleme des Landes zu diskutieren und die Notwendigkeit, das brasilianische Volk aktiv am politischen Prozess zu beteiligen, auf die Tagesordnung zu setzen.Wir müssen die sozialistischen und progressiven Abgeordneten wählen, die sich zur Umsetzung der Landreform verpflichten, und dürfen nicht zulassen, dass die Rechte ihre Kandidaten mit den Stimmen der Arbeiter wählen lässt.
Brasilien muss der Welt in der nächsten Zeit zeigen, dass es mehr als das Land der Olympischen Spiele oder der Fußballweltmeisterschaft ist, dass es vielmehr ein Land ist, in dem soziale Gerechtigkeit für alle Bürger existiert. Ein Land ohne Analphabeten und ein Symbol für ökologische Produktion in der Landwirtschaft. Ein Land, in dem keine Einkommens- oder Landkonzentration mehr gibt. Dies ist das Land, das wir uns 2010 alle wünschen.
(Übersetzung: Christiane Trümper Portella)