Brasilianische Landlosenbewegung MST auf Rundreise in Europa
Lasst uns den Kampf internationalisieren, lasst uns die Hoffnung internationalisieren
Die MST (Movimento dos Sem Terra) ist eine soziale Bewegung, die sich seit 34 Jahren für die Rechte von Kleinbäuer*innen, den Zugang zu Land und eine Agrarreform in Brasilien einsetzt. Sie ist Mitglied von La Via Campesina, einem internationalen Bündnis und Sprachrohr für die Belange von Kleinbäuer*innen. Menschenrechtsverletzungen, Abbau der Demokratie und des Sozialsystems durch die Putschregierung des Präsidenten Michel Temer prägen die aktuelle Situation in Brasilien. Darüber zu berichten und sie anzuprangern war Ceres Hadich von der Nationaldirektion der MST auf eine Rundreise durch die Bundesrepublik Deutschland und Portugal gegangen.
CERES HADICH, Nationaldirektion der Landlosenbewegung MST, Brasilien; Übersetzung: Constanze Lemmerich, treemedia e.V.
Unsere zwölftägige Delegationsreise hatte zum Ziel, die Artikulation von La Via Campesina in den beiden Ländern zu stärken und die Zusammenarbeit mit dem Freundschaftsverein der MST, Solidaritätsgruppen und weiteren Partnerorganisationen in Deutschland zu vertiefen.
Überall berichteten wir über die aktuelle Lage in Brasilien und konnten einen vielfältigen Dialog mit interessierten Einzelpersonen, NGOs, Initiativen, Gewerkschaftsgruppen sowie politischen Mandatsträger*innen führen. Darüber hinaus kam es zu einer Protestaktion in Erinnerung an die Ermordung der Feministin Marielle Franco. Sie war Stadträtin von Rio de Janeiro und Mitglied der brasilianischen Partei Sozialismus und Freiheit (PSOL). Am 14. März diesen Jahres wurden sie und ihr Fahrer in ihrem Auto erschossen, wenige Tage nachdem Marielle Vorsitzende einer Kommission für die Aufklärung der Militärintenvention in Rio de Janeiro geworden war und sich gegen Polizeigewalt und extralegale Hinrichtungen aussprach, die sich besonders gegen Schwarze, Jugendliche und Favela- Bevölkerung richtet. Zudem nutzen wir den Rahmen der Rundreise, um auf die Inhaftierung des Ex-Präsidenten und derzeitigen Präsidentschaftskanditaten der Arbeiterpartei PT, Lula, aufmerksam zu machen und seine Freilassung zu fordern.
Bei einer Kundgebung vor der brasilianischen Botschaft in Berlin am internationalen Aktionstag für die Rechte von Kleinbäuer*innen von La Via Campesina forderten wir gemeinsam mit einem Bündnis aus zivilgesellschaftlichen Organisationen und Bauernverbänden das Ende der Diskriminierung und Kriminalisierung sozialer Bewegungen in Brasilien, die Stärkung der Rechte von Kleinbäuer*innen auf internationaler Ebene sowie endlich eine Agrarreform für das Land.
Zudem nahmen wir an einer Tagung der Kooperation Brasilien – KoBra e.V. zu dem Thema “Agro ist Pop” teil – ein Titel, der auf die aktuelle Kampagne der Medien und des Agrarbusiness in Brasilien anspielt. Diese Tagung wurde von KoBra und dem Projekt Lateinamerika Global-Nachhaltig des Allerweltshaus organisiert, einem kulturpolitischen Zentrum in Köln.
Auf der Reise erlebten wir eindrucksvolle Momente – gerade alltägliche Dinge wie Essen oder Transportmöglichkeiten, aber auch andere Organisationsformen gaben uns interessante interkulturelle Impulse. Wir führten vertieft Dialoge und lernten dabei gegenseitig. Uns überraschte und bestärkte vor allem auch die große Offenheit der Teilnehmenden an einem Austausch.
Das Interesse an der Situation in Brasilien vermittelt ein starkes Gefühl von Solidarität und Internationalismus. Sowohl Deutsche wie auch Brasilianer*innen zeigten sich sehr besorgt über die Situation in unserem Land und sprachen sich trotz der Entfernung zwischen den Ländern für gemeiname Strategien des Widerstands und den Aufbau von möglichen Auswegen aus.
Es ist strategisch wichtig und notwendig, das aktuelle Geschehen anzuprangern. Denn Brasilien erlebt zur Zeit einen der schwierigsten Momente seiner Geschichte, in der wir seit 2015 einen Staatstreich erleben: ein Putsch, vorangetrieben von der nationalen Oberklasse, die die Interessen des internationalen Kapitals vertritt und der in einem Schulterschluss zwischen Parlament, Justiz und den Medien vollzogen wird.
Unter einem trügerischen Diskurs, die Korruption im Lande zu bekämpfen, wurden bereits eine Vielzahl von politischen, juristischen und medialen Maßnahmen ergriffen, die zur Amtsenthebung von Dilma Rousseff und zu der derzeitigen illegitimen Putschregierung führten. Diese regiert das Land einerseits mit einer extrem feindseligen Agenda gegenüber nationalen Interessen und denen der Arbeiter*innen und begünstigt anderseits vorwiegend die Interessen des internationalen Kapitalismus.
So kam es in den letzten zwei Jahren bereits zu unzähligen Rückschlägen und Einschränkungen demokratischer Rechte und Errungenschaften. Zum Beispiel sieht die Änderung der Verfassung durch das Reformpaket PEC vor, Staatsausgaben für öffentliche Bereiche wie Bildung und Gesundheit für die kommenden zwanzig Jahre einzufrieren. Ein weiteres Beispiel ist die Offensive der Rentenreform (bislang erfolglos) und die Zustimmung zur Arbeitsmarktreform, durch die zahlreiche Errungenschaften der letzten Jahrzehnte abgebaut werden. Gerade auf dem Land spürt man dies stark. Hinsichtlich der Agrarreform kam es zu einem völligen Stillstand. So wurde z.B. das Ministerium für ländliche Entwicklung, das auch zuständig für die Agrarreform war, aufgelöst und die Belange sind jetzt direkt dem Präsidialministerium unterstellt.
So wird die Arbeiterklasse nun in eine Art Verteidigungszustand gezwungen.
Dies alles führte bereits zu erheblichen Verschlechterungen in der Organisierung von Protest und sozialen und politischen Kämpfen. Die Widersprüche zwischen den internationalen Interessen und den Bedürfnissen der brasilianischen Bevölkerung sind nicht von der Hand zu weisen.
Die Demontage und der Versuch der Demoralisierung zeigt sich insbesondere im Verkauf nationaler Güter und lässt sich deutlich an der Versteigerung des größten staatseigenen Unternehmens, dem Ölkonzern Petrobras, ablesen. Dies bedeutet nicht nur den Verkauf eines Unternehmens, sondern den Verkauf der Souveränität eines Landes. Und gerade dafür kämpfen wir: um die Souveränität Brasiliens und der brasilianischen Bevölkerung.
Die MST ist eine soziale Bewegung, entstanden in den 1980er Jahren in Brasilien. Sie ist das Ergebnis der Redemokratisierung des Landes nach der Militärdiktatur und Erbe der nach 500 Jahren Kolonisierung und Imperialismus immer noch ungelösten Agrarfrage im Land.
In diesem Sinne versteht sich die von uns geforderte Agarreform auch als Prozess und Aufbau eines Landes, die mit der Forderung nach Demokratisierung des Zugangs zu Landbesitz und dessen Dezentralisierung eng verbunden sind.
Mit dem Aufbau unserer Siedlungen haben wir die Bedingungen dafür bereits hergestellt. Die Ergebnisse sind ein lebenswürdiges Leben auf dem Land und der Zugang zu guten und gesunden Lebensmitteln für die gesamte brasilianische Bevölkerung.
In diesem Sinne war die Reise der MST-Delegation nach Europa dadurch charakterisiert, einerseits den Putsch und den Abbau demokratischer Rechte in Brasilien zu denunzieren, anderseits aber auch die Errungenschaften und alternative Projekte und Lösungsansätze vorzustellen.
Die internationale Gemeinschaft rufen wir auf, sich zu soldarisieren und die Kräfte zu bündeln, um die derzeitige Situation zu überwinden.