In: Amazonien. Stadt – Land -Fluss. Das größte zusammenhängende Regenwaldgebiet der Erde zwischen Schutz und Nutzung
Eine neue Publikation von: Aktionsgemeinschaft Solidarische Welt e. V. (ASW), Fórum da Amazônia Oriental (FAOR) und Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika e.V. (FDCL). Berlin, 2009.
Wird das Klima in Amazonien gerettet?
Tropenwälder in den internationalen Klimaverhandlungen In den trüben Dezembertagen des polnischen Winters 2008 konnte das tropische Brasilien glänzen: Während der Klima-Konferenz in Poznan lancierte der brasilianische Umweltminister, Carlos Minc, den „Nationalen Plan über Klimaveränderung“. Brasilien hatte damit den Entwurf für eine Klimapolitik vorgelegt, die freiwillige Reduktionsziele beinhaltet. In Poznan fehlte es nicht an Lob und Ehrgeiz. Al Gore betonte, dass Brasilien nun eine führende Rolle bei den Kimaverhandlungen übernommen habe und Ban Ki-Moon bezeichnete die brasilianische Wirtschaft gar als eine der grünsten der Welt. Minister Minc konnte triumphieren: “Brasilien hat lange in der Defensive gespielt. Wir möchten nun eine Führungsrolle übernehmen.” Aber trifft das zu?
Wenige Monate später droht der leuchtende Stern von Poznan schon zu verblassen. Zum einen sind die Klimaverhandlungen wieder zum mühseligen Alltagsgeschäft zurückgekehrt, bei dem keine Vorreiter das Tempo bestimmen. Und zum anderen ist auch die Kritik an der brasilianischen Umweltpolitik lauter geworden, die anscheinend nicht auf der Höhe der Ankündigungen von Poznan agiert.
In der Gruppe der großen emerging economies spielt Brasilien eine deutliche Sonderrolle. Blendet man soziale Probleme wie Zwangsumsiedlungen für Staudammbauten sowie Konflikte bei Ausweitung von landwirtschaftlichen Monokulturen für die Energiegewinnung aus und schaut man nur auf die Energiebilanz, ist Brasilien tatsächlich eine der grünsten Länder der Welt. Dies verdankt das Land seinem extrem hohen Anteil der Wasserkraft am Energiemix: etwa 75 Prozent der Stromerzeugung stammen aus dieser CO2 armen Quelle. Hinzu kommt noch ein großer und steigender Einsatz von Agrotreibstoffen, so dass Brasilien mit einem Anteil von 45 Prozent von erneuerbaren Energien am Primärenergieverbrauch tatsächlich Weltspitze ist – der OECD-Durchschnitt liegt bei 6,2 Prozent. In internationalen Foren zitieren die brasilianischen Regierungsvertreter immer wieder solche Zahlen.
Aber der CO2 Musterknabe verwandelt sich ganz schnell in ein Schmuddelkind, wenn Emissionen aus Land Use Change eingerechnet werden. Damit sind die Emissionen von Treibhausgasen gemeint, die vorwiegend durch das Abbrennen von Wäldern und anderen Naturflächen entstehen. Etwa zwei Drittel der brasilianischen Emissionen stammen aus dieser Quelle – und rechnet man sie in die nationale Emissionsbilanz ein, dann rückt Brasilien auf Platz fünf der größten Verschmutzer dieser Welt vor.
Für Brasilien heißt das, dass es in den internationalen Verhandlungen nur ein Problem gibt: die Vernichtung des Regenwaldes in Amazonien. Der Bali-Action- Plan empfiehlt, die Reduktion von Entwaldung (mit der Abkürzung REDD versehen) in ein internationales Abkommen miteinzubeziehen, ist Brasilien in das Zentrum der internationalen Verhandlungen gerückt. Auf diese Situation hat das Land mit dem in Poznan lancierten „Plano Nacional de Mudanças de Clima” bestens reagiert. Der Plan sieht vor, dass die Entwaldung in Amazonien bis 2017 um 70 Prozent im Vergleich zum Durchschnitt der Jahre 2005 und 2006 reduziert wird. Nach Angaben der Regierung würden dadurch 4,8 Milliarden Tonnen CO2 weniger in die Atmosphäre gelangen.
Um diese Reduzierungsziele zu erreichen, braucht es natürlich Geld. Die brasilianische Regierung hat daher einen Amazonasfonds aufgelegt, zu dem Norwegen bereits 100 Millionen US-Dollar beigesteuert hat. Die Bundesregierung will sich vorläufig mit 18 Millionen beteiligen. Das ist aber bisher nur ein Tropfen auf einen heißen Stein: Die brasilianische Regierung geht davon aus, dass sie etwa eine Milliarde US-Dollar pro Jahr braucht, um die ambitionierten Ziele umzusetzen. In den internationalen Verhandlungen hat sich Brasilien damit in eine komfortable Situation manövrierte. Es hat die eingeforderten freiwilligen nationalen Ziele in äußerst ambitionierter Weise vorgelegt und kann nun von den so genannten Annex 1 Ländern (den Industriestaaten) die finanzielle Beteiligung einfordern.
In Brasilien ist die Position der Regierung allerdings weniger komfortabel. Denn Zweifel, ob die hehren Ziele des Klimaplanes sich auch in reale Politik umsetzen lassen, werden lauter. Insbesondere ein umstrittenes Dekret zur Regelung der Landfrage in Amazonien, hat die Kritik der brasilianischen Umweltbewegung provoziert: durch die MP 458 werden mit einem Federstrich alle Landbesitze in Amazonien bis zur Grenze von 1.500 ha legalisiert. Der größte Teil der Flächen befindet sich auf öffentlichem Land, die Besitzer hatten daher bisher keine legalen Landtitel. Was zunächst als Maßnahme gedacht war, um Rechtssicherheit für Kleinbauern zu schaffen, hat sich durch die Ausweitung der Grenze auf 1.500 Hektar zu einer riesigen Landübertragung auch an mittlere und größere Betreibe ausgeweitet – und dies ohne jegliche Umweltauflagen. In der Praxis wurde damit illegale Entwaldung legalisiert und ein perverser Anreiz für die Zukunft geschaffen. „Die Regierung beschleunigt die weitere Koloniserung und Entwaldung Amazoniens”, lautet das Fazit von Greenpeace
Damit nicht genug: Im Rahmen des „Programms zur Beschleunigung des Wachstums” (PAC) sind neue Großprojekte in Amazonien vorgesehen. An den Amazonasflüssen Tapajós und Xingu sind gewaltige Staudämme geplant, auch Straßen sollen im Amazonasgebiet ausgebaut werden. Wie solche Pläne mit den ambitionierten Reduktionszielen vereinbar sind, bleibt das Geheimnis der Regierung. Kein Geheimnis aber ist, wo die Regierung ihren
Schwerpunkt sieht. Im Jahre 2010 wird gewählt und Präsident Luiz Inácio Lula da Silva will seine Kandidatin ins Amt hieven: Dilma Rousseff ist Kanzleramtsministerin, Koordinatorin des „Programms zur Beschleunigung des Wachstums” (PAC) und jeglicher Sympathie mit Umweltfragen unverdächtig.
Aber es sind nicht nur neue Großprojekte, die den Regenwald bedrohen, auch die bisherigen Zerstörungsfaktoren sind nach wie vor nicht gebändigt. Greenpeace hat im Juni dieses Jahres mit einer umfangreichen Studie die Bedeutung der Ausweitung der Viehzucht als wichtigsten Faktor der Waldzerstörung erneut in die Debatte gebracht. Greenpeace wies dabei neben der Bedeutung des Fleischkonsums auch deutlich auf die Verantwortung von Großkonzernen wie Adidas, Reebok und weitere hin, die Leder aus Amazonien verarbeiten. Dennoch ist natürlich auch die brasilianische Regierung gefragt. Offensichtlich waren die bisherigen Maßnahmen zur Eindämmung der illegalen Entwaldung nicht ausreichend. Umweltminster Minc hat angesichts dieser Entwicklungen die verbale Konfrontation mit dem Agrobusiness gesucht, musste aber bald Rückzieher machen. Um im Amt zu bleiben, entschuldigte er sich bei den Großproduzenten, die er vorher als Betrüger bezeichnet hatte. Für die brasilianische Entwicklungspolitik ist das Bündnis mit den Viehzüchtern und Sojabauern wichtiger als der Waldschutz.
Wie es um die Zukunft der Klimapolitik angesichts diese Gemengelage bestellt ist, bleibt ungewiss. Präsident Lula geht erstmal davon aus, dass im großen Brasilien alles möglich ist. Waldschutz, Großprojekte und Agrobusiness – für alle soll Platz sein. Im Augenblick wird diese Politik noch nicht durch Zahlen dementiert. Tatsächlich waren die Entwaldungszahlen in den letzten zwei Jahren rückläufig. Dazu haben aber wohl nicht nur die Aktionen des Umweltministeriums beigetragen, sondern auch die Wirtschaftskrisen. Was in Brasilien also fehlt, ist eine konsistente Politik, um die auf der internationalen Ebene verkündeten klimapolitischen Ziele umzusetzen. Wenn hier nicht bald konkrete Schritte erfolgen, droht der Plano Nacional zu einem weiteren Dokument guter Absichten zu verkommen.
Thomas Fatheuer