Kommentar zum gewaltsamen Eindringen von Behörden in die ‚Schule‘ der MST

Liebe Amigas und Amigos,

am frühen Freitagmorgen (4.11.2016), ist die Polizei – augenscheinlich ohne richterlichen Beschluss und unter  Schusswaffengebrauch in die Escola Nacional Florestan Fernandes (Guarema/São Paulo) eingedrungen und hat diese durchsucht. Konzertiert wurden noch zwei weitere Ausbildungseinrichtungen der MST in Paraná und Mato Grosso do Sul gestürmt und Personen aus der MST festgenommen. Hintergrund ist ein Konflikt zwischen den Landlosen und der Holzfirma ‚Araupel‘ in Quedas do Iguaçu (Paraná,PR), die dortiger Polizei war auf der Suche nach Führungspersonen der MST.

Amigos do MST, Unterstützergruppen aus verschiedenen Ländern, haben eine Solidaritätskampagne gestartet. Weitere Informationen folgen. Bis dahin haben wir Links zu aktuellen Meldungen und weitere Texte und Materialien auf die Webseite gestellt [www.mstbrasilien.de]. Auch wenn für uns die Escola Florestan Fernandes, als langjähriger Gesprächs- und Projektpartner, von besonderer Bedeutung ist; ist dies doch auch ein Ausdruck der drastisch zunehmenden gewaltsamen Landkonflikte und zunehmenden Kriminalisierung von sozialen Bewegungen seit dem kalten Putsch in Brasilien (12. Mai 2016; 31. August 2016). Treffend analysiert João Pedro Stédile die Absichten der neuen Regierung, die sich zum Ziel gesetzt hat das ‚linke‘ Projekt eines gerechteren und demokratischen Brasiliens zu beenden um in vermeintlichen/echten ‚Krisen‘ den Besitzstand weniger zu wahren [hier].

Bereits im spannungsreichen Vorfeld des Putsches ist die Zahl der Landkonflikte gestiegen – nicht nur an den aktuellen Agrargrenzen, sondern auch in anderen Gebieten (u.a. der Bericht im Juli 2016 von G. Schulz; hier). Vor allem aber werden sie wieder in einer Brutalität ausgetragen, wie sie in den letzten Jahren unüblich war. Beinahe wöchentlich erreichen uns Pressemitteilungen der MST oder der Landpastorale CPT (bspw. der Fall von Rondônia v. G. Schulz; hier).

Die zunehmenden Landkonflikte sind ein deutliches Zeichen dafür, dass in unsicheren Zeiten und aufgrund veränderter politischer Konstellation auf Bundesebene, lokale Autoritäten, Großgrundbesitzer oder die Agrarlobby eben die Dinge wieder ‚auf ihre Weise regeln‘ – und es auch tatsächlich ungestraft können. Wenn auch die Konflikte unter Lula und Dilma nicht gelöst wurden, so hatte doch die Art und Weise der Austragung der Landkonflikte aufgrund der stärkeren Intervention der Bundesbehörden seit 2003 demokratischere Züge angenommen (bspw. Justiziabilität auf Bundesebene, oder die Anti-Sklaverei Eingreiftruppe) und zu einer Deeskalation beigetragen. Zu gewaltsamen Konflikten kamen in den letzten Jahren fast nur in Einzelfällen, in abgelegenen Regionen, aufgrund von Verschiebungen der Agrargrenzen im Nordosten oder im Amazonasgebiet oder bei großen Infrastrukturprojekten oder Staudammprojekten. Im Zuge dessen haben die Agrarfragen aber auch insgesamt an Bedeutung verloren (Analysen aus dem Ila Sonderheft 2015: hier).

Die aktuelle Eruption von Gewalt aber zeigt deutlich, dass oligarchische Herrschaftsstrukturen oder die Einstellung der lokalen ‚Großgrundbesitzer‘ unter der ‚Oberfläche‘ auf fatale Weise unverändert blieben – und nun auch kein staatliches Interesse mehr besteht  diese Strukturen zu regulieren oder Einstellungen im Rechtsstaat zur Räson zu zwingen. Es sind solche Entwicklungen, die unter der sogenannten ‚neuen Regierung‘ durch das entsprechende Handeln offizieller Behörden weiter eskalieren: sei es indem die MST sprachlich als ‚kriminelle Bande‘ oder ‚Terroristen‘ diffamiert wird, oder wie nun, wenn die Polizei gewaltsam, mit Schüssen anrückt um Schulen (!) zu durchsuchen. Das hat vor allem eine symbolische Wirkung: es gibt keine rechtsstaatlichen Grenzen für Gewalt mehr, alles ist möglich um bestimmte Interessen durchzusetzen.

Solidarisch Grüße

Benjamin im Namen der Amigos do MST

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