Am 9. Dezember wird Sergio Moro auf der Konferenz „The Failures of Regulation and Self-Regulation. How to Analyze and Prevent Corporate Crime?” in Heidelberg sprechen. Dieser Auftritt ist sehr umstritten, gilt doch Moro für viele als Drahtzieher des Kalten Putsches in Brasilien gegen Dilma. Für andere – und so insziniert er sich selbst – ist er der ehrenwerte Ritter gegen die grassierende Korruption.
Aus Brasilien hat uns daher ein Protestbrief (deut./port.) gegen die Veranstaltung in Heidelberg erreicht, welchen sie hier lesen können.
Auch von mir ein (zu)kurzer Kommentar, in einer zugegebenermaßen komplizierten Angelegenheit:
Der Vorwurf: Der Herr Sérgio Moro, gilt als einer der wichtigsten Strippen-Zieher beim „kalten Putsch“ gegen die „Ex-Präsidentin“ Dilma. So wird auch in der Ankündigung für seinen Vortrag auf das Ranking der TIME zu den „wichtigsten Personen der Welt“ hingewiesen. Dieses basiert just auf seiner Wahl zur wichtig(st)en Persönlichkeit Brasiliens durch die Magazine „Veja“(2014; 2015) und „Isto é“ (2014) in Brasilien in den Vorjahren. Beide sind – kurz gefasst – die Speerspitze der (rechts)konservativen „Propagandablättle“ in Brasilien. Just diese beiden Magazine haben in den letzten zwei Jahren in monatlicher Regelmäßigkeit ‚Dilma‘ Korruption auf ihren Titelblättern unterstellt… auch wenn sich die Aussagen, worauf sich diese Titelblätter und Leitartikel bezogen ‚…wo jemand der gehört hat, dass jemand gesagt hat, dass Dilma korrupt wäre, zitiert wurde…‘ sich immer als falsch herausgestellt haben. Vielleicht sollte man noch erwähnen, dass die Besitzer dieser Zeitschriften zufällig mit denjenigen Politikern verbandelt sind, die im Kongress den Misstrauensantrag gegen Dilma vorangetrieben haben. Der Putsch wurde letztlich dann damit begründet, dass Dilma „korrupt“ wäre… nur konnte man es ihr trotz intensivster juristischer Untersuchungen in über zwei Jahren bis heute leider nicht nachweisen…. … nach dem Putsch war das ja dann auch egal. Man hat die gesamte Regierungsmannschaft noch unter der „neuen“ ‚Übergangsregierung‘ ausgetauscht oder schlicht Ministerien wie das „Umweltministerium“ abgeschafft und Sozialprogramme gestrichen noch bevor das Amtsenthebungsverfahren gegen Dilma überhaupt abgeschlossen war. Tatsächlich sind im neuen Kabinett noch mehr Minister in den genannten Korruptionsskandal der ‚Petrobras‘ verwickelt als im alten. Ähnlich und detaillierter formuliert das der Brief im Anhang.
Die Verteidigung: Trotzdem ist Korruption ein riesiges Problem in Brasilien, und man kann deren Bekämpfung nicht instrumentalisieren, egal ob sie nun ein „linkes“ oder ein „rechtes“ Projekt stützt. Dafür wird Moro in weiten und breiten Teilen der brasilianischen Bevölkerung gefeiert. Er hat auf symbolisch drastische Weise (u.a. siehe Abhöraktion Lula) deutlich gemacht, dass die Justiz unabhängig ist und links wie rechts ihre Aufgabe in der Gewaltenteilung zu erfüllen hat (deswegen wird sie z.B. auch in anderen Zeitintervallen ernannt oder gewählt). Und er ist im Verfahren „Lava Jato“ nicht nur gegen Personen von bestimmten Parteien vorgegangen. Aber, das Problem ist die ZeitgleicheUngleichzeitigkeit: gerade die brasilianische Justiz an sich (weil es oft Lebenszeitpositionen sind) ist in weiten Teilen immer noch durch und durch korrupt (siehe u.a. Landkonflikte). Wie also sollte jemand wie Moro (jetzt unterstelle ich mal, das seine Absichten so ehrenwert sind wie er das von sich behauptet), sich in einer extrem ungleichen Gesellschaft, einem korrupten System und in einer politisch gespaltenen Gegenwart verhalten? Wie kann man als Person oder strukturell angesichts dieser Dilemmata eine „gute“ Entwicklung fördern? Das ist ja das Thema der Tagung.
Meines Erachtens sollte man Moro darauf hinweisen/auffordern, dass er erst jetzt beweisen kann, ob er tatsächlich der unabhängige Ritter in der Sache der Anti-Korruption ist, als der er sich gibt. Dann muss er die „neue“ Regierung aber genau so „hart“ angehen, wie die alte. Wenn er in 2 Jahren gezeigt hat, dass die neue Regierung noch korrupter ist als die alte… gut. Das muss er aber erst noch beweisen. Durch den Putsch hat er ironischerweise auch die Chance dazu – ob das seine Absicht war?