Ökologische Landwirtschaft in den Agrarreformgebieten

des MST im Norden von Minas Gerais: Herausforderungen und Möglichkeiten

Von Tatiana Gomes, MST Minas Gerais, November 2009, für KoBra aus dem brasilianischen Portugiesisch von Jürgen Stahn.

In Brasilien steht eine Agrarreform heute nicht mehr auf der Agenda nationaler Vorhaben und ist noch weniger Bestandteil von Regierungsprogrammen.

Aus der Verbindung zwischen internationalem Finanzkapital und dem Großgrundbesitz entstand das Agrobusiness, die agroindustrielle Landwirtschaft. Deren Folge ist eine neuartige Produktionsweise, der großflächige Anbau von Rohstoffen für agroindustrielle Produkte. Dafür sind die Mechanisierung der Produktionsprozesse sowie der Einsatz von Agrochemikalien und von gentechnisch verändertem Saatgut in der Landwirtschaft unabdingbare Voraussetzung.

In diesem Modell landwirtschaftlicher Produktion kommt der Anbau von Lebensmitteln für die Bevölkerung nicht vor. Es geht ausschließlich um die Erzeugung börsennotierter Produkte für den Export, die kleinbäuerliche Landwirtschaft findet darin keinen Platz.

Regierung und Medien lassen an dieser Tatsache keinen Zweifel: industrielle Landwirtschaft schafft Devisen, Agrarreform ist verlorenes Geld. Deutlich wird die Einschätzung auch durch die Politik selbst: die für die Familienlandwirtschaft bestimmten Mittel sind geradezu lachhaft im Vergleich mit den Summen, die dem Agrobusiness zur Verfügung stehen: 15 Mrd Reais gegen 130 Mrd Reais!

Diese neuen Perspektiven lassen Planung und Organisation neuer Regionen bäuerlichen Widerstandes, also unserer neuen Ansiedlungen, immer schwieriger erscheinen. Einerseits müssen wir mit der Geringschätzung der Agrarreform durch die Regierung leben, andererseits werden wir tagtäglich durch agroindustrielle Unternehmen unter Druck gesetzt, weil sie billige Arbeitskräfte suchen, selbstverständlich ohne arbeitsrechtliche Absicherung und weil sie über Pacht billiges Land suchen, um ihre Anbaugebiete erweitern zu können.

Vor diesem Hintergrund erscheint der ökologische Landbau, der in den neuen Ansiedlungen und in den provisorischen Lagern praktiziert wird, als wichtige Alternative zur industriellen Landwirtschaft. Ökologische Landwirtschaft bedeutet Leben und ist für die Menschen ein Symbol für die Herstellung von Lebensmitteln und für den Erhalt der Artenvielfalt. Die ökologische Landwirtschaft umfasst ja nicht nur den Verzicht auf Agrochemikalien und gentechnisch verändertes Saatgut, sondern bezieht auch die Zusammenarbeit der Menschen in ihren verschiedenen Ausprägungen sowie die Ernährungssicherheit für die Familien mit ein.

Wir sind fest davon überzeugt, dass die ökologische Landwirtschaft ein bedeutsames Mittel zum Schutz der Umwelt ist. Ohne diesen Schutz wird die bäuerliche Landwirtschaft nicht überleben und schließlich auch die ganze Menschheit nicht. Außerdem befreit sie die Menschen aus der Abhängigkeit vom kapitalistischen Produktionsmodell und wird zu einem wichtigen Werkzeug bäuerlichen Widerstandes.

Das Netzwerk „Bionatur für ökologische Landwirtschaft“ ist eines der Ergebnisse landwirtschaftlicher Erzeugung, genossenschaftlicher Zusammenarbeit und des Umweltschutzes der Landlosenbewegung.

Bionatur hat seinen Ursprung in den Erfahrungen von Erzeugern von Saatgut ökologischer Gemüse im Süden Brasiliens. Das Netzwerk weitete seine Arbeit auf weitere drei Regionen aus, darunter ab 2006 der Norden von Minas Gerais.

Diese Arbeit hat folgende Ziele: wir wollen mit der Zucht von Saatgut und der Erzeugung von gesunden, regionalen Nahrungsmitteln einen Beitrag zur Ernährungssicherheit der Siedler-Familien leisten; wir wollen die Erzielung von Einkommen durch den Verkauf von Saatgut und Gemüse fördern; wir wollen Zusammenarbeit und Zusammenhalt zwischen den Familien stärken, zur Verbreitung ökologischer Methoden in der Landwirtschaft beitragen und dadurch den Einsatz von chemischen und synthetischen Düngemitteln und gentechnisch verändertem Saatgut verhindern.

Im Norden von Minas Gerais werden vier Flächen von Bionatur zur Saatzucht, insgesamt 3,5 Hektar, verwandt.

Welches sind nun unsere Erfolge und wo liegen unsere Herausforderungen für die Zukunft? Bei der Ernährungssicherheit und beim Zugang zu Nahrungsmitteln sind wir mit Sicherheit vorangekommen. In sämtlichen Gebieten, in denen es Gemüseanbau von Bionatur gibt, haben sich Vielfalt und Qualität der Nahrungsmittel erheblich verbessert. Wir konnten feststellen, dass dann, wenn die Erzeugnisse aus dem Bionaturanbau für die tägliche Nahrung verwendet werden, alte Menschen und Kinder weniger erkranken. Bislang war es uns allerdings noch nicht möglich, Saatgut in größerer Menge zu erzeugen. Das ist ein mittelfristiges Projekt. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen wir größeres Gewicht auf die strategische Komponente der Erzeugung und die Sicherung von Saatgut durch die bäuerlichen Familienbetriebe legen. Wir wollen zunächst erst einmal feststellen, welche der im Norden von Minas angebauten Produkte sich am besten für die Zucht von Saatgut eignen. Die ökologischen Bedingungen in dieser Region unterscheiden sich doch ganz erheblich von denjenigen im Süden des Landes.

Bei der Einführung neuer ökologischer Anbaumethoden sind wir auch ganz gut vorangekommen. Wir haben aber festgestellt, dass wir uns bei den Unterrichtseinheiten und den Planungswerkstätten, die in den neuen Ansiedlungen durchgeführt werden, nicht auf die Erzeugung von Saatgut und Gemüse beschränken dürfen, sondern die gesamte Produktpalette der Siedlerfamilien mit einbeziehen müssen. Es ist unbedingt erforderlich, die landwirtschaftliche Erzeugung in den Ansiedlungen als eine Einheit, als zusammengehörig zu betrachten. Um die Erzeugung von Gemüsesaatgut sinnvoll planen zu können, müssen wir auch die Erzeugung von Milch, die Kleintierzucht, die Feldarbeit während der Regenzeit mit in die Planungen einbeziehen. So muss etwa der Dung von Milchvieh und Schweinen als Kompost oder als biologisches Düngemittel für die Gemüsebeete und die Maniok-, Mais-, Bohnen-, Hülsenfrüchte, Erdnussfelder verwendet werden. Die Abfälle aus der Garten- und Feldproduktion müssen für Tierfutter eingesetzt werden. Es ist wichtig, sogenannte Proteinbanken über den Anbau von Futterpflanzen einzurichten, die auch den Stickstoffgehalt des Bodens in Trockenzeiten sichern. Dadurch kann der Tierbestand gesichert werden. Diese Erfahrungen wurden im semiariden Nordosten schon gemacht. Wir müssen auch auf dem Gebiet der Verträglichkeit verschiedener landwirtschaftlicher Erzeugnisse vorankommen, um bereits seit langem degradierte Böden in den Agrarreformgebieten wieder aufzubauen. Dafür ist auch der Anbau von Gründünger sehr wichtig.

Eine ganz andere große Herausforderung ist die Verzögerungsstrategie der Regierung bei der Einführung konkreter Maßnahmen der Agrarreform.

Alle Flächen, auf denen Saatgutzucht stattfindet, werden in den schriftlichen Unterlagen und in den Statistiken der Regierung als Ansiedlungen ausgewiesen.

Allerdings liegt der einzige Unterschied zwischen einem provisorischen Lager (der MST) und diesen Flächen in der von der Regierung ausgestellten Enteignungsurkunde. Die Ansiedlungen sind schon zwischen drei und sieben Jahre alt. Bis heute haben die dort lebenden und arbeitenden Menschen noch keinen Kredit erhalten, der für die von der Agrarreform begünstigten Familien vorgesehen war.

Unter diesen Bedingungen ist es sehr schwierig, die landwirtschaftliche Produktion zur Selbstversorgung und zur Erzielung eines Einkommens aufrecht zu erhalten: die Grundstücke verfügen über keinerlei Infrastruktur wie Wohnhäuser und elementare Versorgung mit Wasser und Kanalisation, es stehen nur wenig Werkzeuge und andere Hilfsmittel zur Verfügung, es fehlen landwirtschaftliche Maschinen und Geräte, es gibt keinen Zugang zu Krediten. Eigentlich haben die Leute nur ihre Hacke.

Zur Lösung dieser Probleme gibt es nur einen Weg: Wir müssen uns über sozialen Druck wehren! Nur wenn wir neue Gebiete besetzen und auf diese Weise den Zusammenhalt zwischen den Familien Landloser stärken, nur wenn wir demonstrieren und die unmittelbare Konfrontation mit Regierung und transnationalen Unternehmen des Agrobusiness wagen, werden wir für unsere durch die Verfassung gewährleisteten Rechte eintreten. Ein praktisches Beispiel dafür, dass die Rechte der Bevölkerung nur durch sozialen Druck zu gewährleisten sind, ist unser „Tag des Widerstandes“, den wir im August 2009 in 11 Bundesstaaten begangen haben.

Nach der Besetzung der Finanzministerien in Brasilia und in den Bundesstaaten erklärte sich die Regierung bereit, die Verhandlungen mit VertreterInnen der MST wieder aufzunehmen. In Minas Gerais waren die Ergebnisse noch besser: Eine Woche nach Beendigung unserer Aktionen, nach der Sperrung einer Überlandstraße in der Nähe von Jequitaí und der Besetzung des bundesstaatlichen Forstinstitutes (Instituto Estadual de Florestas IEF) in Montes Claros begannen Angestellte der Agrarreformbehörde INCRA und des IEF, die neuen Ansiedlungen im Norden von Minas aufzusuchen, um die Bewilligung und Auszahlung des ersten Kredites und die Regelung der Umweltbestimmungen in den Ansiedlungen vorzubereiten.

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